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«Zurück an die Arbeit!»
Im Gespräch 
Blickpunkt KMU 01-2019
«Zurück an die Arbeit!»
In den meisten Unternehmen werde viel zu wenig gearbeitet, behauptet Buchautor Lars Vollmer. Rechtsanwalt Markus Meyer dagegen will die Mitarbeiter in die Entscheidfindung einbeziehen. Ein Gespräch über Meetings, die an ein Theaterstück erinnern.
INTERVIEW THEO MARTIN
BLICKPUNKT KMU Warum sind Meetings zur Plage geworden?
Lars Vollmer Die Menschen spüren, dass Meetings im Wesentlichen zum Erhalt des Systems dienen und kaum einen klaren Bezug zur Wertschöpfung, zum Geschäft haben. Sie dienen vornehmlich dazu, funktionale Teilung zu überbrücken und Absprachen zu treffen, die es ohne funktionale Teilung nicht brauchen würde. Die gewisse Distanz zum eigentlichen Geschäft macht Meetings für die meisten Menschen wirkungslos. Der Kunde spielt kaum eine Rolle. Meetings sind extrem ritualisiert, sie lösen kaum mehr die wesentlichen Probleme eines Unternehmens. Das macht Meetings für alle Beteiligten zur Plage.
Markus Meyer Ich teile die Auffassung nur sehr begrenzt, Meetings seien eine Plage. Meetings sind eine gute Gelegenheit, mit physischer Präsenz und mit Augenkontakt das Gespräch zu erleben und nicht nur in einer E-Mail zu lesen oder sich am Telefon auszutauschen. Wenn Meetings als Zeitverschwendung wahrgenommen werden, dann hat das sehr viel mit ungenügender Führung und schlechter Organisation zu tun. Ein Meeting mit einer Zielsetzung, welches gut geführt ist und in dem die Gesprächsanteile gut verteilt sind, trägt sehr viel zur Lösungsfindung bei.
 «Der Kunde spielt in Meetings kaum eine Rolle.»
Lars Vollmer
Gibt es Unterschiede von Land zu Land oder zwischen den Industrien?
Vollmer Nein, das glaube ich kaum. Meetings sind ein Überbleibsel des Industriezeitalters. Und Unternehmen, die nach den Steuerungsmechanismen des Industriezeitalters arbeiten, brauchen in immer höherem Masse Meetings. Natürlich kann man Meetings besser gestalten – da stimme ich Herrn Meyer total zu. Aber sie bleiben das falsche Werkzeug. Sie sind nicht mehr dazu in der Lage, die dynamischen Probleme des Unternehmens zu lösen. Dazu sind sie zu langsam, zu starr und viel zu teuer.
Welches ist das richtige Werkzeug?
Vollmer Es braucht kein anderes Werkzeug. Die Frage muss lauten: Welche Organisationsform macht ritualisierte Meetings weitestgehend überflüssig? Eine der meist diskutierten Beispiele ist die Form agiler Organisation, in der es viel Kommunikation, viel Führung und viele Treffen gibt – in der aber kein einziges Meeting erforderlich ist, weil keine funktionelle Teilung vorherrscht. Ein Team, das gemeinsam ein Problem teilt und löst, braucht keine Meetings. Ich vergleiche das gerne mit dem Time-out im Basketball. Das ist sehr kurz, findet im Stehen statt und passiert beim Auftreten eines Problems und nicht wenn der Tag des Meetings gekommen ist. Man bespricht sehr direkt das unmittelbare Problem und geht sofort wieder zurück. Ich würde niemals behaupten wollen, dass es weder Kommunikation noch Führung braucht, aber es braucht keine Meetings.
Meyer Das ist ein Begriffsstreit. Time-out ist ein klassisches Meeting, ein Situationsrapport. Bei einem Problem ruft der Chef bzw. Trainer «halt» und bittet zur Aussprache. Das ist ein formalisierter Prozess. Mir ist klar, dass es keine schlechten Meetings braucht. Wir wollen gut geführte Sitzungen, bei denen sich der Leiter vorgängig überlegt, wen er dazu nimmt, was das Ziel der Veranstaltung ist und welche Gesprächskultur er durchsetzen will. Die Teilnehmer sollen sich nicht gehemmt fühlen. Mir ist wichtig, dass am Schluss etwas Verbindliches herausschaut.
 Herr Vollmer, was verstehen Sie unter Meeting?
Vollmer Ich meine genau das, was Herr Meyer eben beschrieben hat. Ich teile seine Ansicht aber nicht, dass ein Time-out im Basketball ein typisches Meeting ist. Die meisten Unternehmen, die ich beobachte, machen hoch ritualisierte Regelmeetings. Die machen auch den fatalen Fehler, an Meetings Entscheidungen zu fällen. Für mich gehören Entscheidungen komplett raus aus Meetings, denn sonst passiert – typisch für derartige soziale Systeme – Entscheidung durch Ermattung. Man debattiert über komplexe Systeme bis jemand sagt: «Dann machen wir es halt so.» Das Problem ist, dass man komplexe Probleme nicht rational lösen kann. Das funktioniert weder mit einer Agenda noch mit Argumenten. Die komplexen Probleme sind eben gerade nicht dem Intellekt zugänglich. Sie in einem Meeting lösen zu wollen führt zu Streit. Und der stabilisiert nur die Macht.
Sie sagen in Ihrem Buch, dass lästige Rituale, unsinnige Regeln, Reporting, Budget-Verhandlungen, Change-Prozesse unnötig sind.
Vollmer Das ist vielleicht etwas zu salopp gesagt. Ich sage, dass diese Instrumente für den komplexen Teil der Wirtschaft nicht funktionieren. Für die Probleme, für die es noch kein Wissen geben kann – und das sind die entscheidenden Probleme – sind diese Instrumente wirkungslos und in hohem Masse destruktiv. Nur für diesen Teil der Wirtschaft plädiere ich dringend für eine Ablösung dieser Instrumente.
Herr Meyer, braucht es keine Budgetverhandlungen?
Meyer Das Budget ist für mich als Unternehmer ein zentrales Steuerungsinstrument. Man kann sich durchaus darüber unterhalten, wie ein Budget entsteht. Es gibt patriarchalisch geführte Organisationen, in denen es verfügt wird. Es gibt Organisationen, in denen ein Budget partizipativ entsteht. Hier wird versucht, die Zuteilung der Ressourcen in einem einvernehmlichen Prozess zu lösen. Das Resultat wird dann auch vom Team mitgetragen. Ich kann mir nicht vorstellen, ein Budget nicht mit meinen Abteilungsleitern zu erarbeiten. Ich würde mir die Chance nehmen, von deren Wissen zu profitieren.
 «Ein Meeting, das gut geführt ist, trägt sehr viel zur Lösungsfindung bei.»
Markus Meyer
Soll man von den Mitarbeitern nicht profitieren?
Vollmer Im Gegenteil! Ich bin der gleichen Meinung wie Herr Meyer, dass man Budgets besser machen kann. Aber es ist wieder mal das falsche Werkzeug, da so dem Mitarbeiter systematisch Verantwortung entzogen wird. Die Verhandlungen mit einem Chef können niemals auf Augenhöhe stattfinden, da es ein Abhängigkeitsverhältnis gibt. Mit einem Chef etwas gleichrangig absprechen zu wollen ist deshalb ein Euphemismus. Aber mir geht es um etwas ganz anderes: Budgets entziehen den Mitarbeitern Verantwortung. Es passiert in Wirtschaftsunternehmen jeden Tag, dass Geld ausgegeben wird weil es im Budget steht, oder dass etwas Gutes nicht getan wird weil es das Budget gerade nicht hergibt. Aus meiner Sicht weichen gerade Unternehmen, die sehr erfolgreich sind, an den entscheidenden Stellen von ihrem Budget ab. Das macht ihren Erfolg aus und nicht die Einhaltung des Budgets. Das würde nur bedeuten, dass man gut in die Glaskugel geschaut hat. Aufgabe eines Unternehmers ist es aber, gute Entscheidungen auf Basis von aktuellen Ereignissen zu treffen. Die erfolgreichste Bank Europas kommt seit 40 Jahren ohne Budget aus. Die Bank mit den meisten Skandalen in Europa hat den härtesten Budgetprozess. Es gibt auch wenig empirische Belege dafür, dass Budgets einem Unternehmen existenziell zu Erfolg verhelfen. Es ist nur ein lieb gewonnenes Ritual.
Meyer Für mich ist und bleibt ein Budget ein Steuerungsinstrument. Welche erfolgreiche Bank meinen Sie?
Vollmer Die Svenska Handelsbanken…
Meyer …werde ich mir gerne anschauen. Ich behaupte nicht, dass es nicht ohne Budget geht, aber für mich ist es ein zentrales Steuerungsinstrument für eine gute Ressourcenzuteilung.
 In Deutschland ist es müssig mit dem Chef zu diskutieren, während sich in der Schweiz Mitarbeiter und Chef austauschen. Gibt es also doch Unterschiede?
Meyer Das ist eine Frage der Unternehmenskultur. Das mag in einem deutschen Unternehmen etwas anders funktionieren. Bei uns setzen Chefs sehr stark auf Partizipation – auf den Einbezug der Mitarbeiter, weil man von ihnen profitieren will. Auch die politischen Systeme sind unterschiedlich. Es ist einfach etwas anderes, ob man von einer Bundeskanzlerin regiert wird, die man alle vier Jahre wählen kann oder ob man in einem System lebt, in dem man sich gegen jeden einzelnen Beschluss mittels Volksentscheid auflehnen kann. Viele Deutsche in der Schweiz staunen ob unserer Kultur und unserem Umgang miteinander.
Ist das die Partizipation, die Sie anstreben, Herr Vollmer?
Vollmer Ich bin kein Kenner der Schweizer Unternehmenskultur, glaube aber gerne, was Herr Meyer sagt. Allerdings möchte ich zu bedenken geben, dass es auch in der Schweiz ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen vorgesetzten Führungskräften und Mitarbeitern gibt. Ein Mitarbeiter muss immer bedenken, dass es Konsequenzen haben kann wenn er anderer Meinung ist als der Chef – es wird sehr stark von der Unternehmenskultur codiert, in wieweit das angenommen oder abgelehnt wird. Es ist naiv zu glauben, dass ein Mitarbeiter voraussetzungsfrei einen Budgetvorschlag seines Chefs diskutieren kann. Wir wünschen und glauben an ein Kooperationsverhältnis, die Kultur eines Unternehmens kann ein Unternehmer aber kaum selber beurteilen. Das geht mir genauso.
Meyer Ich möchte dazu drei Dinge sagen: Im Grundsatz teile ich erstens diese Auffassung. Es ist tatsächlich eine Frage, wie man mit diesem systemimmanenten Konflikt umgeht. Zweitens habe ich in meiner Karriere durchaus Situationen erlebt, in welchen ich beim Vorgesetzten für mein Budget kämpfen musste. Da habe ich festgestellt, dass mit Argumenten überzeugt werden kann. Drittens – und ganz wichtig – ist die Frage nach den Instrumenten. Eines davon habe ich interessanterweise in Deutschland kennengelernt. Es geht darum, wer für ein Unternehmen am meisten reputationsbildend ist. Es sind die ex-Mitarbeiter. Ich mache deshalb jedes Jahr einen Anlass für die ehemaligen Mitarbeiter.
 «Führung ist eine Aufgabe und keine Position im Organigramm.»
Lars Vollmer
Liegt die «Theaterquote» tatsächlich in vielen Unternehmen jenseits der 50%? Was hält uns von der Arbeit ab?
Vollmer Ich biete da eine sprachliche Spitzfindigkeit an: Arbeit ist für einen anderen, meist für einen Kunden. Alles andere ist Beschäftigung, weil es eher dem Erhalt des Systems dient. Tatsächlich bekräftige ich die These, dass ganz viele Teile, die nach Arbeit aussehen, nur Beschäftigung sind. Dazu zählen neben Meetings auch Mitarbeitergespräche, Budgetrunden, Powerpoint-Präsentationen, anonyme Mitarbeiterbefragungen und viele Werkzeuge mehr, die alle aus dem Denkmuster des Industriezeitalters kommen. Damals meinte man, dass Firmen wie eine Maschine funktionieren. Dabei hat man erfolgreich ignoriert, dass ein Unternehmen aus Menschen besteht, die nicht so miteinander reden. Ich glaube, dass viele Praktiken und Rituale die Mitarbeiter von der Arbeit abhalten. Das kann man vielleicht nett gestalten, aber es macht trotzdem nicht aus Beschäftigung Arbeit.
Herr Meyer, werden Sie auch von der Arbeit abgehalten?
Meyer Ich versuche das so gut wie möglich zu vermeiden. Montags, 7.30 Uhr, mit immer den gleichen Traktanden und zwei Alpha-Tieren – das sind Rituale. Dieses Theater braucht es wirklich nicht, das hält die Leute effektiv von der Arbeit ab. Ich erwarte von einem Mitarbeiter, dass er in diesem Fall reagiert, denn das wirkt sich beim Output aus. Solche Mechanismen können sich mit der Zeit einschleichen. Es ist wichtig, über Instrumente zu verfügen um so etwas zu verhindern. Ein gutes Unternehmen kann solche Fehlentwicklungen erkennen und korrigieren.
 «Das Budget ist für mich als Unternehmer doch ein relativ zentrales Steuerungsinstrument.»
Markus Meyer
Was muss ich tun, wenn ich nicht mehr Theater spielen will? Wie modernisiere ich meine Organisation?
Vollmer Jedes Unternehmen betreibt zwei Grundtypen von Wertschöpfung. Es gibt wiederkehrend die Lösung von Problemen, die schon einmal gelöst wurden. Dieses Wissen kann man in Regeln, Checklisten und Anweisungen einbetten. Hier halte ich die Beibehaltung der ursprünglich tayloristischen Ideen weiterhin für angemessen. Aber diese Art der Wertschöpfung beherrscht der Wettbewerber zunehmend auch und sie wird auch immer mehr digitalisiert. Entscheidend ist ein anderer Typ an Wertschöpfung, den ich gerne Wertschöpfung der Ausnahme nenne. Das sind Probleme, die ich noch nicht gelöst habe. Auslöser sind Überraschungen, die vom Konkurrenten, vom Kunden oder von der Technologie kommen. Für alle diese Probleme, für die es noch kein Wissen gibt, kann es keine Regeln, Checklisten und Budgets geben. Deshalb brauche ich für diesen Typus eine andere Art von Organisation. Diese wächst in funktional integrierten Teams, die ohne Vorgesetzten echte Führung ermöglichen. Steuerung und Kontrolle hingegen kollabieren in komplexer Wirtschaftsform. Die Organisationsform der Zukunft wird diese dynamische Wertschöpfung in hohem Masse besser anwenden.
Meyer Wir sprechen von Führung. Da stellt sich die Frage, ob man wirklich alles sich selber überlassen kann oder ob es nicht ein bestimmtes Mass an Struktur benötigt. Das Handeln muss an einem gemeinsamen Ziel ausgerichtet sein, in der Regel bestimmt vom Eigentümer. Es gilt die Ressourcen so zu bündeln, dass dieses Ziel erreicht werden kann.
Vollmer Herr Meyer hat mir sehr nonchalant den Vorwurf der Anarchie untergeschoben. Das möchte ich weit von mir weisen. Selbstorganisierte Teams haben extrem viel Struktur und sie sind sehr klar auf ein gemeinsames Ziel oder Problem ausgerichtet. Das ist weder struktur- noch führungslos, denn Führung ist eine Aufgabe und keine Position im Organigramm. Diese Rolle wird auch ausgeführt, wenn keine Führungskraft vorhanden ist. Es ist einer der zentralen Denkfehler des Taylorismus, der glaubt, Führung gebe es nur mit einer Führungskraft.
Freude an der Arbeit:
Ein Team, das gemeinsam ein Problem teilt und löst, brauche keine Meetings, sagt Buchautor Lars Vollmer. Ein gutes Unternehmen könne Fehlentwicklungen erkennen und korrigieren, kontert Rechtsanwalt Markus Meyer.
Sind Sie trotzdem optimistisch?
Vollmer Ich bin sehr optimistisch. Ich sehe sehr viele gute Beispiele, die sich von den alten Managementpraktiken bereits weitgehend verabschiedet haben. Auch in den tradierten Unternehmen entdecken wir immer wieder Hochleistungsteams, die schon Selbstorganisation leben. Ich habe den Eindruck, dass diese Idee immer weiter Fuss fassen wird. In vielen Märkten erlebe ich, dass diese neuen Organisationsformen effektiver sind. Ich schaue auch dem Schreckgespenst gelassen entgegen, dass die Digitalisierung viele Jobs kosten wird. Der Wertschöpfungstyp der Ausnahme braucht vor allem Köpfe und nicht nur Hände.
Meyer Ich bin vor allem Optimist. Wir leben heute in der besten der möglichen Welten. Im Westen haben wir ein hohes Mass an Beschäftigung, viel Lebensqualität und viel (soziale) Sicherheit. Die Aussichten für uns Menschen sind sehr positiv und ich bin optimistisch, dass meine drei Kinder es dereinst noch besser haben werden.
Herzlichen Dank für dieses Gespräch!
 Markus Meyer…
… ist Rechtsanwalt und Unternehmer. Nach einer Berufslehre als Maurer und Tätigkeit als Dachdecker absolvierte er die eidg. Matur am Feusi Bildungszentrum, Bern. Danach studierte er Jura an der Universität Bern. Später war er Assistent für Rechtsinformatik. Seit 1997 ist er Rechtsanwalt und Geschäftsführer von Bracher & Partner, Advokatur und Notariat. www.bracherpartner.ch
 Lars Vollmer…
… versteht sich als Autor, Redner und Unternehmer. Er gilt als einer der profiliertesten Wirtschaftsvordenker im deutschsprachigen Raum. Er ist zudem leidenschaftlicher Jazzpianist und Musikkenner, liebt Wortwitz, schlichtes Design, guten Kaffee und New York. www.larsvollmer.com
 Zurück an die Arbeit! Lars Vollmer Linde Verlag, Wien, 2016 Hardcover gebunden, 192 Seiten Preis: Fr. 29.50 ISBN: 978-3-7093-0612-3
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